Frank Müller,
Immobilienmakler und Sachverständiger
Text | Frank Müller Foto | Bettina Oswald
November 2022
Wir sind da angekommen, wo wir uns vor 10 Jahren von der Normalität entwöhnt haben
Beim morgendlichen Blick der Immobilienmakler ins E-Mail-Postfach reiben sich diese erstaunt die Augen. Wo zuvor, zum Beispiel bei einem Reihenhaus-inserat, hunderte Anfragen das Postfach füllten, tröpfelt die Nachfrage inzwischen in überschaubarem Umfang ein.
Willkommen in der Normaliät! Im Bergischen wuchs die Nachfrage nach Eigenheimen und Anlageimmobilien seit 2012 stetig und gipfelte im letzten Jahr in einem Nachfrageüberhang, der gigantisch war. Nun sind wir da, wo
wir etwa im Jahre 2011 aufgehört haben, uns an die Normalität zu gewöhnen.
Die Gründe sind vielschichtig. Die Zinsen für Baufinanzierungen lagen im Februar 2022 noch bei etwa einem Prozent, bei zehnjähriger Zinsbindung. Heute liegen wir bei etwa 3,8 %. Bei einem Darlehen
von 200.000,- Euro sind die Mehrkosten mehr als 460,- Euro für die Darlehensnehmer gestiegen.
Die Banken haben zudem die Zügel bei der Forderung nach Eigenkapital
deut-lich angezogen. Die Interessenten, die das nicht verkraften können,
scheiden als Nachfrager einfach aus. Wer sich für die Immobilie in eine zwanzig- bis dreißigährige Darlehensverbindlichkeit begibt, möchte ein sehr hohes Maß an Arbeitsplatzsicherheit haben. Die
dunklen Konjunkturwolken trüben die Zuversicht ein, den langen Weg krisenfrei zu überstehen.
Die Inflation und vor allem die nahezu unbekannte Energiekostentwicklung
lassen Interessenten vorsichtig werden. Wer nicht weiß , ob er für Heizung
und Strom statt 200,- Euro monatlich demnächst 500,- Euro oder mehr
monatlich bezahlen muss, rechnet (zurecht) vorsichtshalber mit dem Schlimmsten.
Mit den höheren Kosten und den Sorgen schwindet jedoch nicht der Wunsch nach einem Eigenheim. Letztlich warten die Interessenten nur auf mehr Sicherheit und reduzieren das Kaufpreisbudget. Wenn sich
die Themen Energiekosten und Konjunktur entspannen, wird die Nachfrage wieder zunehmen. Die Entwicklung hat auch gute Seiten. Von den 100 Reihenhaus-interessenten konnte nur einer das Haus kaufen. 99
blieben unzufrieden
zurück. Die wirtschaftlich stärksten Interessenten haben die Angebote zulasten derer erhöht, die schärfer rechnen mussten. Das ist nun zum Glück vorbei. Jetzt zählen wieder Geduld und gute Beratung
der Interessenten bei der Immobilienvermittlung. Das macht mehr Spaß , als der „Bieterkampf“ der
letzten Jahre. Der Bedarf nach Maklerleistungen wird zunehmen, weil sich nicht mehr der Briefkasten mit Anfragen aus der Nachbarschaft füllt, wenn
ein Haus scheinbar frei geworden ist. Auch die seltsame Praxis einiger Haus- und Wohnungssuchenden, auf Kondolenzkarten gleich das Interesse am Hauserwerb zu bekunden, dürfte sich merklich
reduzieren. Die nach oben scheinbar offene Preisspirale für Häuser und Wohnungen ist gebrochen. Das
sind die guten Nachrichten und Entwicklungen – wenigstens für
die Kaufinteressenten und Immobilienmakler.